In Schönberg im Kamptal gibt es ein Museum, es ist eingebettet in den Alltag eines alten Vierkanthofes. Schon bei meiner ersten Annäherung fühlte ich mich diesem Museum sehr verbunden. Ich erlebte ich eine intensive Verwobenheit von Leben und Arbeit: Alles befindet sich in Resonanz, ist verbunden, kombiniert sich. Die Atmosphäre schwingt. Und mitten drin, vom Außen ins Innen geführt, eröffnet sich der Kosmos von Nina Dick.
Ihre Kunst
ist Berührung, Erlebnis, Erkenntnis, Verfremdung, Übergang.
Immer schon waren mir Geschichten wichtig, Geschichten, die von Menschen
oder Dingen erzählen und erzählt werden, die sich als Spielplatz für
Gedanken weiterspinnen lassen. Und in diesen Objekten im Museum im
Vierkanthof im Kamptal fand ich Erzählungen, Drama, Komödie, Slapsticks,
Momentaufnahmen, Kommentare.
Etwa die Geschichte der verschwundenen Katze. Sie hatte sich zum Sterben
zurückgezogen und ward nie mehr gesehen. Sehr viel später, beim Ausbau
des Museumsraumes, tauchten die skelettierten Katzenknochen wieder auf.
Gemeinsam mit einem Hühnerei und einem Spermium sind sie in der Arbeit
„Die Entwickelung des Lebens“ auf dem Dachboden wiederzufinden. Ein
schwerer, vergoldeter Rahmen genannt „Zeit-Rahmen“ umfasst neben dieser
„Entwickelung des Lebens“ noch ein „Herz mit Kreislauf“, einige „Super
lange super langsame Schnecken“ und eine Kuckucksuhr, die statt eines
Kuckucks eine Zunge herausstreckt: „Die Uhr zeigt dir die Zunge nach
jeder vergangenen Stunde“.
In der „Exhibitionistischen Wildsau“ werden einige Dramen verarbeitet:
Abhängigkeiten wie Saufen, Rauchen, Fressen und das Herzeigen des
männlichen Geschlechtsteils. Doch um das alles zu entdecken, braucht
der/die BesucherIn den Mut, ein Pedal zu treten, sonst bleibt es einem
verborgen. Überhaupt gibt es viel zu „bewegen“ im Museum: Man muss durch
ein Schlüsselloch schauen, gleichzeitig den Türgriff drehen und
staunen, um die Welt hinter der „Magischen Türe“ zu finden. Bei einer
der neueren Arbeiten reiben zwei Gipsköpfe sich gegenseitig ihre
Schädeldecken weg, wenn zwei BesucherInnen gleichzeitig die Kurbel an
der Skulptur drehen. Die Essenz ihres Reibens, der Gipsstaub, rieselt
träge herab und fliegt beim nächsten Luftstrom ins Universum auf
Nimmerwiedersehen davon. Oder aber ballen sich die derart zerriebenen
Gedanken der Gipsköpfe unter der Wurzel des Löwenzahns, in der Mulde
eines Mauersteins wieder zusammen… und denken vielleicht die Welt neu?
Zurück zum Weben und Verbinden: die „Weberin“, die nicht fertig gewebte
Silhouette einer Frau, mit gestickten Fußnägeln, Schamhaaren, Nabel und
Brustwarzen. Ihre Arme, aus Gips gegossen, halten Nadel und Faden in der
Hand und sind gerade dabei, den Rest des Körpers oberhalb der Brüste zu
vollenden. Die sich selbst vollendende Frau, die mit beiden Beinen fest
auf der Erde steht… leuchtend weiß der Körper, rötlich die
Geschlechtsmerkmale, sie wirkt auf mich kraftvoll und selbstbewusst.
Irritierend das Spiel zwischen Zwei- und Dreidimensionalität… Wird sie
aus dem Schatten des Museums einst fertig hervortreten und die Welt
verändern?
Die Poesie der Be-Zeichnungen
Großen Anteil haben die Titel der Werke, die Be-Zeichnungen, die zum Teil schon für sich eine Welt ausmachen. Eine Welt, die im Kopf entsteht, ohne dass die Augen noch etwas gesehen hätten… und natürlich beim Betrachten der Arbeit völlig auf den Kopf gestellt werden. Eine Tafel mit der Aufschrift „Disco für Nachtschwärmer“, welche an der Ortsausfahrt von Schönberg stehen könnte, evoziert eine bestimmte Vorstellung. Hier aber handelt es sich um ein kleines dunkles Kartonhäuschen mit Discolicht, in der eine Sammlung wunderschöner toter Nachtfalter/-schwärmer aufgespießt ihren letzten Tanz tanzt. Die „Fernwehbox“ lässt Bilder von Sehnsuchtsorten aufpoppen, von Stränden und Bergen etwa. Ein Draht, mit dem das Wort „Fernweh“ geschrieben ist, durchdringt eine auf dem Deckel von Omas Schatzkiste angebrachte Weltkarte und endet schließlich in den Pupillen eines darin sich befindenden Fotoportraits. Was sehen diese Augen? Wonach sehnen sie sich? Für mich schien der Titel „Verstriezelung“ keine besondere Herausforderung zu sein. Hmmm, wer hätte nicht sofort einen saftigen Butterstriezel auf der Zunge? Doch wer sich wundert, warum diese Arbeit verschämt hinter dem „Haus“ gezeigt wird, versteht das angesichts von miteinander verstriezelten Gliedmaßen, die an einen sexuellen Akt gemahnen, aber auch an Abhängigkeit, Symbiose, Nicht-Loskommen, Verzopftheit eben –, oder sogar Aussichtslosigkeit bedeuten können.
Mit dem Herzen sehen
Ja, ich war berührt von dem, was ich gesehen und gespürt habe in diesem Museum im Kamptal. Die Freimütigkeit, mit der hier das Leben, ganz persönliche Fragestellungen, die Suche nach Antworten preisgegeben werden, auf der anderen Seite aber auch das Scheitern oder ein offenes Ende erlaubt sind. Überhaupt wirkt alles offen und unvollendet, sind die Fragezeichen immer wieder Antrieb und Motor für eine weitere Suche. Abgeschlossenheit, Schlusspunkte, fertige Resümees sind kein Thema. Das Leben geht weiter. Und irgendwann wird der Globus eingesponnen und beschützt sein von unzähligen Hausspinnen. Womit ich wieder beim Eingangsthema bin, beim Verweben, Verbinden, dem lebenslangen (Re)Kombinieren.